Was sich für dich ändern soll, aber nicht unbedingt muss.
1. Das Prozedere der Abfrage
Ab 02. August wird die Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen von Anleger:innen verpflichtend. Die EU möchte damit einen nächsten Schritt in Richtung nachhaltiger Finanzwirtschaft gehen, was ich grundsätzlich sehr befürworte. Doch die neuen Vorschriften sind nicht nur aufwändig, sie sind leider zum Teil noch gar nicht umsetzbar und darüber hinaus mitunter sogar wenig zielführend.
EU-Kriterien zur Nachhaltigkeit von Geldanlagen fließen natürlich auch in die Bewertungskriterien der ZEPCON GmbH mit ein, aber eben nicht alleine diese, sondern auch etliche andere – aus verschiedensten Quellen. Sind die jetzt obsolet? Nein, doch der Reihe nach...
Ich werde dich also verpflichtend (!) fragen, ob du die Begriffe
„ökologisch nachhaltige Investition“,
„Nachhaltige Investition“ und
„nachteilige Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren“
kennst und sie sogar in eigenen Worten erklären könntest.
Dann sollst du entscheiden, ob du „Nachhaltigkeit“ bei deinen Investitionen berücksichtigen möchtest.
Wenn du hier mit „Nein“ antwortest, ist alles erledigt. Dann stufe ich dich als „nachhaltigkeitsneutral“ ein: du musst nicht, kannst aber nachhaltig investieren, vlt. auch einfach nicht nur nach EU-Kriterien. Denn diese stehen leider zu Recht unter Kritik:
o Die EU-Taxonomieverordnung wurde durch die Hinzunahme von Atomkraft und Erdgas verwässert,
o die EU-Offenlegungsverordnung verlangt von den Anbietern von Finanzprodukten eine Selbstkategorisierung, obwohl diese ihre Produkte natürlich auch vermarkten und
o die Liste der PAI-Faktoren (wesentliche nachteilige Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren) kann derzeit schlicht nicht ausreichend mit Finanzprodukten abgebildet werden.
Bei deinem „Ja“ geht es mit den EU-Kriterien erst so richtig los. Eine hervorragende Übersicht über die Abfrage hat die Fachgruppe Finanzdienstleister der WKO erstellt:
Du kannst also drei Kategorien (einzeln oder auch kombiniert) sowie ganz spezifische Ziele UND auch einen Mindestanteil (in %) wählen, die von deinen Finanzprodukten erfüllt werden sollen; und zwar für ein einzelnes Finanzprodukt, für deine Investitionssumme oder auch für dein gesamtes Portfolio.
Die Liste der PAI-Faktoren (Kategorie c) umfasst mehr als 65 (!) Indikatoren, kann noch um eigene Wünsche ergänzt werden und sollte ebenfalls mit einer gewünschten %-Angabe versehen werden!
Selbstverständlich sollst du völlig unbeeinflusst antworten. Und nach all deinen Überlegungen und Entscheidungen werde ich dir wahrscheinlich sagen müssen, dass diese gar nicht erfüllbar sein werden, weil es schlicht die Datengrundlage dafür (noch) gar nicht gibt! Dann kannst du natürlich deine Entscheidung revidieren, was ich selbstverständlich sauber protokollieren muss usw.
Geldanlage ist für viele Menschen schon kompliziert genug. Für die meisten ist Vertrauen in die Beratung entscheidend! Das gilt umso mehr für nachhaltige Geldanlage. Hier zählt Expertise umso mehr!
2. Warum ich den Schritt begrüße und warum nicht
Seit der Pariser Klimakonferenz 2015 beschäftige ich mich mit nachhaltiger Geldanlage. Es ist mein Herzensprojekt, privat aber auch im Rahmen meiner Tätigkeit, zumindest einen kleinen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz leisten zu können. Noch bevor die Finanzindustrie das Geschäftspotential „grüner Geldanlage“ so richtig entdeckt hat, habe ich schon begonnen, mit meinen Kund:innen gemeinsam das mir anvertraute Vermögen in umwelt- und klimafreundliche Unternehmen zu investieren. Einerseits, um neben einer finanziellen Rendite auch eine positive Wirkung zu erzielen, andererseits, um die wachsenden Risiken konventioneller Veranlagungen zu vermeiden.
Zunächst gab es nur wenig Informationen, ob und wie ein Finanzprodukt in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten investiert. So entwickelten sich zunächst ESG-Siegel, wie bspw. das österreichische Umweltzeichen für Finanzprodukte UZ49 oder das FNG-Siegel. Solche (hochwertigen) Siegel kennzeichnen zweifelsfrei nachhaltige Finanzprodukte, doch die Prüfer dieser Siegel bewerten nach jeweils eigenen Kriterien – und diese müssen nicht identisch mit EU-Kriterien sein! Und darüber hinaus haben sie einen – für mich entscheidenden – Nachteil: für viele internationale Produktanbieter sind die betreffenden Märkte dieser Siegel einfach zu klein und unbedeutend. Doch gerade weltweite, breit gestreute, Portfolios mit den besten Finanzprodukten aller Anbieter sollten die Basis jeder Finanzberatung sein! Und da ist mir die Auswahl an zertifizierten – und das sind vor allem heimische – Anbietern zu klein.
Deswegen habe ich von Beginn an nach möglichst objektiven Kennziffern zur Nachhaltigkeit gesucht, idealerweise von verschiedenen Anbietern, da diese auch unterschiedliche Bewertungskriterien heranziehen. Als Finanzberater schwierig, sehr schwierig, denn die meisten Datenlieferanten bieten ihre Daten ausschließlich institutionellen Kunden an. Doch ich wollte den unabhängigen Blick und so habe ich mir über die Jahre ein eigenes Berichtswesen aufgebaut, das wohl einzigartig ist, und heute die Basis meines Erfolges ist.
Ich bespreche mit meinen Kund:innen also schon seit geraumer Zeit Fragen rund um nachhaltige Geldanlage. Mythen & Fakten zu grünen Investments, worin soll bzw. darf investiert werden, gibt es Prioritäten (wie z.B. CO2-Reduktion) oder besonders interessante Branchen (wie z.B. erneuerbare Energie). Wie funktionieren nachhaltige Strategien überhaupt und dazu gehört auch, wo deren Grenzen liegen. Und diese liegen v.a. in der (noch) mangelnden Transparenz. Angefangen bei den Unternehmen, die Berichte über Nachhaltigkeit liefern, über die Anbieter von Finanzprodukten, die einerseits ihre Produkte verkaufen wollen und sich andererseits selbst klassifizieren müssen.
Und dann gibt es noch die Frage, wie Kund:innen Nachhaltigkeit überhaupt definieren. Ein klassisches Beispiel dafür ist ein österreichisches Paradeunternehmen der Energiewirtschaft, das durch seine Wasserkraft zum Liebling etlicher nachhaltiger Fonds geworden ist: Erneuerbare Energie, entscheidend für die Energiewende. Wasserkraftwerke sind aber nicht gerade förderlich für die Biodiversität der betroffenen Fließgewässer. Und für alle Kund:innen, die fossile Energieerzeugung komplett ausschließen möchten, stellt sich aktuell auch eine neue Frage. Wie wollen sie damit umgehen, dass dieses Unternehmen nun ein Kraftwerk auf Kohle umrüstet? In der EU-Taxonomie gibt es dafür eine wichtige Regel: Do Not Significantly Harm – DNSH. Es reicht nicht, ein bestimmtes Umweltziel zu fördern, es darf auch kein anderes erheblich beeinträchtigt werden…
3. Historischer Hintergrund und Ausblick
Mit dem EU Green Deal hat die Europäische Kommission bereits 2019 ein ambitioniertes Programm gegen den Klimawandel vorgelegt: Europa soll bis 2050 klimaneutral werden, bis 2030 sollen die Emissionen von Treibhausgasen (v.a. CO2) um 55% reduziert werden. Die dafür nötigen Investitionen werden auf bis zu € 300 Mrd. geschätzt – jährlich.
Das wird ohne private Investitionen nicht möglich sein, weshalb die EU Sustainable Finance Strategy für die Finanzwirtschaft entwickelt wurde. Sie nimmt bei der Finanzierung und beim Risikomanagement des Wandels eine wesentliche Rolle ein.
Am 10.03.2021 trat die EU-Offenlegungsverordnung (Sustainable Finance Disclosure Regulation - SFDR) in Kraft. Sie verpflichtet Anbieter von Finanzprodukten zu folgender Kategorisierung:
Art. 8 (hellgrün): Finanzprodukte, die nachhaltige Anlageziele bewerben
Art. 9 (dunkelgrün): Finanzprodukte, die nachhaltige Anlageziele verfolgen
Sonstige: Die diesen Finanzprodukten zugrunde liegenden Investitionen berücksichtigen nicht die EU-Kriterien für ökologisch nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten.
Die SFDR definiert auch
Nachhaltigkeitsrisiken als Ereignisse oder Bedingungen im Bereich Umwelt, Soziales oder Governance (ESG), deren Eintreten erhebliche negative Auswirkungen auf den Wert der Investition haben könnten.
Wesentliche nachteilige Auswirkungen (Principal Adverse Impacts - PAI) auf Nachhaltigkeitsfaktoren. Ein Beispiel ist die Anlage in ein Unternehmen, das erheblich zur Kohlenstoffdioxidemission beiträgt oder unzureichende Wasser-, Abfall- oder landwirtschaftliche Praktiken aufweist.
Am 01.01.2022 trat die EU-Taxonomie Verordnung teilweise in Kraft, wo – in Anlehnung an die Sustainable Development Goals (SDG) der UNO – festgelegt ist, was als „ökologisch nachhaltig“ gilt. Von den sechs Umweltzielen wurden bislang zwei definiert: Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel. Die übrigen vier Umweltziele sollen Ende 2022 bzw. Anfang 2023 folgen:
Eine EU Sozialtaxonomie ist geplant, Vorschläge liegen vor, mit einer Umsetzung wird nicht vor 2024 gerechnet.
Leider wurde die EU-Taxonomie zuletzt – aus meiner Sicht – schwer beschädigt, als das EU-Parlament dem Vorschlag der Kommission zugestimmt hat, dass auch Investitionen in Atomkraft und Erdgas als „ökologisch nachhaltig“ gelten.
Ab 01. Jänner 2023 müssen die Anbieter von Finanzprodukten die Mindestanteile (%) an nachhaltigen Investitionen zur Verfügung stellen. Schon vorher werden es die meisten wohl tun, sofern feststellbar, denn:
Seit 2017 sind bestimmte Unternehmen öffentlichen Interesses sowie Finanzdienstleister und Versicherungen aufgrund der Non Financial Reporting Directive (NFRD) zur Erstellung eines nichtfinanziellen Berichtes bzw. einer nichtfinanziellen Erklärung verpflichtet.
Doch erst mit der Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (Corporate Sustainability Reporting Directive - CSRD) soll die Qualität nichtfinanzieller Informationen so weit verbessert werden, dass Nachhaltigkeitsaspekte bei Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Unternehmen (Kaufentscheidungen als Kunde oder Anlageentscheidungen) angemessen berücksichtigt werden können. Sie soll ab 2025 zunächst für alle großen Kapitalgesellschaften (Umsatz > € 40 Mio. / Bilanzsumme > € 20 Mio. / Mitarbeiter:innen > 250) gelten und bis 2028 schrittweise auf alle kapitalmarktorientierten (auch KMU) ausgedehnt werden. Interessant dabei ist, dass auch ausländische Unternehmen mit börsennotierten Wertpapieren auf EU-regulierten Märkten zu den Europäischen Nachhaltigkeitsberichts Standards (European Sustainability Reporting Standards - ESRS) verpflichtet sein sollen.
Die Umwelt- und Klimakrise betrifft alle Menschen auf der Erde, nicht nur die EU. Der Anteil von EU-Unternehmen am weltweiten Aktienindex beträgt nicht einmal 10%. So gibt es auch internationale Bestrebungen, einheitliche Reportingstandards für Nachhaltigkeits- und Finanzdaten zu erstellen. Wie rasch und gut die Umsetzung gelingen kann, ist leider noch ungewiss…
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